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Sie gehören zu Amerikas bestgehüteten Geheimnissen: Girl Scout Cookies – die Biskuits, die von Pfadfinderinnen verkauft werden.
Zu den heiligen Pflichten von Eltern in den USA gehört es, ihre lebhaften Zöglinge selbstlos überallhin zu chauffieren, wohin der mit Terminen vollgestopfte Alltag die lieben Kleinen verschlägt - in die Schule, zum Sport, zum Musikunterricht, ins Kino, zur Imbissbude, zur Party der Klassenkameraden. Amerikanische Kinder verbringen inzwischen so viel Zeit im Auto, dass etliche von ihnen ihre Eltern von hinten besser kennen sollen als von vorn.
Meist klaglos entledigen sich Väter oder häufiger Mütter der noblen Aufgabe, die ausser genügend Benzin und guten Ortskenntnissen auch starke Nerven und Geduld erfordert. Wehe dem Erzieher, der vergisst, die lieben Kleinen daran zu erinnern, ob sie vor der Abfahrt zu Hause nicht noch schnell müssen wollen. Einem nur wenig erforschten Naturgesetz gemäss meldet sich das entsprechende Bedürfnis bei Kindern häufig auf einem mehrspurigen Highway - meist kurz nach einem Schild, das ankündigt, dass bis zur nächsten Raststätte noch 17 Meilen bleiben.
Im Ausland weniger bekannt als die kommune Fahrpflicht ist die hehre Aufgabe amerikanischer Eltern, jüngeren Töchtern beim Verkauf von Girl Scout Cookies behilflich zu sein. Das sind jene leckeren Biskuits, die einheimische Pfadfinderinnen jeden Winter verkaufen, um ihre diversen Unternehmungen zu berappen. Ein offizielles Faltblatt gibt den Mädchen Tipps, wie sie die süsse Ware am besten an den Konsumenten bringen können. "Übe deinen Verkaufsauftritt", steht es da etwa zu lesen. Oder: "Sage den Leuten, dass sich Girl Scout Cookies gut einfrieren lassen."
Schätzungen gemäss werden Amerikas Pfadfinderinnen dieses Jahr zum ersten Mal mehr als 200 Millionen Biskuit-Packungen verkaufen - zu drei Dollar (fünf Franken) pro Stück. Von den 600 Millionen Dollar Einnahmen dürften den Girl Scouts nach Abzug aller Spesen noch stolze 350 Millionen Dollar oder umgerechnet 577 Millionen Franken bleiben. Das sind rund 190 Franken Gewinn pro Kopf der insgesamt drei Millionen Pfadfinderinnen im Lande.
Fünf der 15 meistverkauften Biskuits in Amerika sind Girl Scout Cookies, obwohl die Plätzchen jeweils nur während dreier Monate feilgeboten werden. Bestseller unter den acht verschiedenen Sorten sind die Thin Mints - dünne, mit Schokolade überzogene Waffeln mit Pfefferminzfüllung. Andere Biskuits tragen so verlockende Namen wie Tagalongs (mit Erdnussbutter), Do-si-Dos (mit Haferflocken) oder Aloha Chips (mit Makadam-Nüssen). Landesweit dürfen lediglich drei Bäckereien, jeweils unter strenger Qualitätskontrolle, die begehrten Artikel herstellen.
Einerseits verkaufen die Mädchen die Cookies selbst - an willige Nachbarn, Freundinnen und Bekannte. Initiative Pfadfinderinnen stellen ferner Stände auf: an der Strasse im Quartier, auf dem Spielplatz, vor dem Supermarkt oder sonstwo im Freien. Anderseits erwarten die Töchter ganz selbstverständlich, dass Väter und Mütter am Arbeitsplatz - im Büro, im Geschäft, in der Praxis oder in der Fabrik - stellvertretend als Verkäufer agieren. Es ist eine innovative Marketingmethode, welche die Werbe- und Vertriebskosten spürbar senkt und höchstens die armen Eltern stresst.
Nun aber gerät ein nichts ahnender Elternteil in Washington D.C. ganz besonders unter Erfolgsdruck. Nirgendwo sonst in Amerika verkaufen Pfadfinderinnen so viele Lemon Drops, Samoas oder Trefoils wie in der Hauptstadt am Potomac. Und so wollen denn die fleissigen Mädchen dieses Jahr in D.C. und Umgebung nicht weniger als 3,75 Millionen der bunten Packungen loswerden. Unvergessen ist in Washington Elizabeth Brinton, eine bienenfleissige Pfadfinderin, die in den 80er-Jahren in einem Fall allein 15 000 Packungen verkaufte. Elizabeth zählte selbst Präsident Ronald Reagan und Vizepräsident George Bush zu ihren Abnehmern.
Damit verglichen hat sich der Verkaufserfolg anno 2001 des TA-Korrespondenten am Arbeitsplatz an der M Street leider in Grenzen gehalten. Zum Gesamtergebnis von 148 Dollar seiner Tochter trug er ganze 57 Dollar bei. Die Opfer? Die Kolleginnen und Kollegen von Radio und Fernsehen der Idée Suisse, mit denen der Schreibende die Büros teilt. Und wofür wollen das Töchterchen und die übrigen Mädchen ihres Pfadfinderinnentrupps das Geld investieren? "Zum Zelten und für einen lustigen Ausflug." Viel Spass!
von Ignaz Staub, Washington (Tages-Anzeiger, 08.03.2001)
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